Der Eiersegen


Im Sommer war’s, vor langer Zeit,
Da trat mit weissbestaubtem Kleid
Ein Wanderbursche müd genug
Einst zu Semlin in einen Krug.
Doch niemand war in dieser Schenke
Zu reichen Speisen und Getränke -
Nur Fliegen, die vom Tisch aufsummten,
Und Brummer, die am Fenster brummten.
Die Sonne kam hereingeflossen
Und malte still die Fenstersprossen
Hin auf den Sandbestreuten Grund.
Es regte sich kein Mensch, kein Hund!
Es waren ganz für sich allein
Die Fliegen und der Sonnenschein.
Der Wandrer auf die Bank sich streckte
Und seine müden Glieder reckte,
Und dachte: „Die Ruhe soll mir frommen,
Am Ende wird schon jemand kommen!“
Und als er nun so um sich sah,
Fand er ein Häufchen Krumen da,
Das man vom Tisch zusammenfegte,
Und, da der Hunger sich sehr regte,
Begann er eifrig unterdessen
Von diesen Krümlein Brots zu essen.

Dem guten Burschen ward nicht kund,
Dass sich auf Hexerei verstund
Des Krügers Frau. Sie wollte eben
Die Krümchen ihren Hühnern geben,
Und da sie abgerufen ward,
Sprach sie darob nach Hexenart
Bevor sie ging, den Eiersegen,
Wonach die Hühner mächtig legen.
Und als der Bube also nippte
Und mit den Fingern Krumen tippte,
Da ward ihm gar so wunderlich
Im Leibe, so absunderlich,
Bis dass auf einmal wundersam
Der Zauberspruch zur Wirkung kam.
Er fühlte sich, als wie besessen,
Und soviel Krumen er gegessen,
So viele Eier musst er legen!
Das wirkte dieser Hexensegen. -
Er mochte wollen oder nicht
Das war das Ende der Geschicht:
Er legte einunddreißig Eier
Und danach fühlte er sich freier.
Dann ward ihm so mirakelig,
So kikelig und krakelig,
Und ehe er sich so recht besann,
Da fing er auch das Kakeln an!
Er konnte diesen Trieb nicht zügeln,
Schlug mit den Armen wie mit Flügeln,
Ging um die Eier in die Runde
Und scharrte kräftig auf dem Grunde,
Und kakelte so furchtbarlich
Das alles rings entsetzte sich!
Zusammen lief Weib, Kind und Mann
Und schauten das Mirakel an.
Doch endlich ließ der Zauber nach;
Dem armen Burschen war ganz schwach,
Er fühlte ganz elendiglich,
Sich außen und inwendiglich,
Und musste stärken sein Gebein
Mit Käse, Brot und Branntewein!
Ließ sich den Stock herüberlangen
Und ist beschämt hinweggegangen.
Nach langer Zeit in spätern Jahren
Hab ich’s aus seinem Mund erfahren.
Da hat er oftmals mir erzählt,
Wie ihn das Hühnerbrot gequält
Und wie das Ding sich zugetragen.
Zum Schlusse pflegte er zu sagen:
„Das Legen, das ist leicht getan,
Das Kakeln aber, das greift an!“


Heinrich Seidel