Vom Handel und vom Spekulieren


Die Kümmel-Spekulation
Zwei Arbeitsleute saßen zusammen auf der Treppe eines Eckhauses und sprachen von diesem und jenem.
„Hör‘ mal, du,“ sagte der eine, „ick habe mir det schon lange überlegt, wir müssen mal uf’n leichte Weise een paar Jroschen verdienen. Weeste wat, wir wollen mal mit Schnaps spekelieren. Über acht Tage ist det Berliner Mottenfest, bis dahin sparen wir uns achtzehn Jroschen und koofen vor’n Daler en kleen Tönneken mit Kümmel. Die sechs Jroschen Rabatt, die sind denn schon unser, und denn sehste natürlich, mit det eenzelne Jläser Inschenken verdient man ooch noch’ ne Menge Jeld.“
Der andere ging in diesen Vorschlag ein, und als der festliche Tag erschienen war, zogen beide frühmorgens zum Tore hinaus, kümmelbeladen. Kaum waren sie aber eine Viertelstunde gegangen, so hielt derjenige, der das Fässchen trug, an und sagte:
„Hör mal, Sperkel, det is heute ochsig neblich; wir wollen jeder eenen jenießen, sonst erkälten wir uns.“
Dies geschah und wiederholte sich mehrere Male.
Sperkel: Du, Lehmann, seh‘ mal in det Fass rin, komm mal her! Seh‘ mal, wat da schon vor 'ne Öffnung in den Kümmel entstanden is.
Lehmann (schaut hinein): Hol‘ mir der Deibel, richtig! Wie det allens in de Welt abnimmt, det is merkwürdig! Den ganzen Rabatt haben wir nu schon vernossen; na jetzt bleibt uns nur noch de Ware an und für sich. Na aber det schad‘t nischt, ick tröste mir; es war heute neblich, un bei solch Wetter muss man sich in acht nehmen. Mir is schon wieder so kalt in’n Magen, schenk‘ mich mal eenen in, aber schwaddern muss er.
Sperkel: Ne, Lehmann, det jeht nich mehr! Von de Ware dürfen wir nischt anjreifen, dabei gehen wir zujrund. Mir durschtert ooch noch, aber ick wer‘ dir erklären, wie wir die Sache machen. Verkooft muss der Vorrat werden, dazu is er da! Ob wir nu davon jeniessen oder een anderer. Jeder is sich selber der nächste. (Er greift in die Seitentasche der Jacke.) Seh‘ mal, ick schenke mir jetzt eenen in un jebe die davor en Jroschen, damit die Jeschichte ihren ordentlichen Jang jeht. (Er gibt Lehmann einen Silbergroschen und trinkt.)
Lehmann: Sperkel, ich kann’t nich mehr aushalten, halte man an! Schenk‘ mir mal for’n Jroschen in! (Er trinkt und bezahlt.)
Sperkel: Die Jelejenheit wer‘ ick benutzen, mir is die Kehle ooch schon wieder so drocken. (Er trinkt und bezahlt. Sie gehen weiter.)
Lehmann: Du, setz‘ mal die Tonne ab und jieß eenen in. Ick muss eenen pfeifen, mir is so musikalisch zumute. Er trinkt und bezahlt.)
Sperkel: Et muss durchaus heute an de Witterung liejen (Er schenkt ein.) So’n Durscht, wie ick heute habe, is mir noch nich vorjekommen, obschon mir schon viele Durschte votjekommen sind. (Er trinkt und bezahlt.)
Lehmann: (sehr ernst): Ick will dir sagen, Sperkel, det liegt nu woll ooch mehr an die Jelegenheit! Wir haben den Kümmel sonst nich so bei der Hand wie heute.
Als sie zum Festplatz kamen, war der Handelsartikel bis auf eine Neige verschwunden.
Sie zählten darauf ihre Barschaft, sahen sich gegenseitig mit großen Augen an und konnten vor Verwunderung nicht zu Worte kommen.
Ihr Vermögen bestand nämlich in einem Silbergroschen, mit dem sie sich wechselweise bezahlt hatten.

Adolf Glaßbrenner