Eine merkwürdige Geschichte, die sich mit einem Krebs zu Schilda zugetragen hat.


Ein unschuldiger armer Krebs, der sich einstmals verirrt hatte, meinte in ein Loch zu kriechen, und kam zu seinem Unglück gen Schilda. Als nun etliche gesehen hatten, dass er so viele Füße hatte, rückwärts und vorwärts gehen konnte, erschraken sie über die Maßen, denn sie hatten noch nie ein solches Tier gesehen. Sie zogen also eilig an der Sturmglocke und alle Schildbürger kamen zusammengelaufen, betrachteten das Ungeheuer und hielten Rat, was es doch sein möchte. Niemand konnte es sagen, bis endlich der Schultheiß sagte, es werde gewisslich ein Schneider sein, weil er zwei Scheren bei sich habe.
Um dies zu erkunden, legten ihm die Schildbürger ein Stück Tuch vor, auf dem der Krebs hin und her kroch. Da schnitt ihm einer mit der Schere hinten nach, denn sie meinten, der Krebs, als ein rechtschaffener Meisterschneider, entwerfe das Muster eines neuen Kleides, welches sie als eine neue Mode gar gern getragen hätten. Aber sie zerschnitten das Tuch also, dass es zu nichts mehr zu brauchen war.
Als sie nun gesehen, dass der Krebs von der Schneiderei wenig oder nichts verstand, trat einer unter ihnen auf und sprach, er habe einen sehr wohlerfahrenen Sohn, der sei in drei Tagen zwei Meilen Weges weit und breit gewandert, habe viel gesehen und erfahren; er zweifle nicht daran, er werden dergleichen Tiere mehr gesehen haben und wissen, was es sei. Also ward der Sohn gerufen.
Der besah das Tier hinten und vorn und wusste nicht, wo er es angreifen sollte oder wo es den Kopf habe. Denn da doch männiglich der Nase nach zu gehen pflegt, die Nase aber am Kopfe sitzt, so war es augenscheinlich, dass der Krebs, der so gut rückwärts wie vorwärts lief, auch hinten wie vorn einen Kopf habe. Endlich aber sprach der weit gereiste Herr Sohn: „Nun habe ich doch meine Tage hin und wieder viel Wunders gesehen, aber desgleichen ist mir nicht vorgekommen. Denn wenn ich sagen soll, was es für ein Tier sei, so spreche ich nach meinem hohen Verstande: Wenn es nicht eine Taube ist oder ein Storch, so ist es gewiss ein Hirsch. Unter diesen Dreien muss es eins sein.“
Die Schildbürger wussten jetzt ebenso viel als vorher, und als einer den Krebs angreifen wollte, erwischte ihn dieser mit der Schere dermaßen, dass der Schildbürger anfing, kläglich um Hilfe zu rufen und zu schreien: „Es ist ein Mörder, ein Mörder!“ Als dies die andern sahen, hatten sie schon genug; setzten daher alsbald, gleich ohne Verzug auf dem Platze, da der Schildbürger gebissen worden war, ein Gericht an und ließen ein Urteil über den Krebs ergehen.
Das lautete ungefähr solchermaßen: Sintemal niemand wisse, was dieses für ein Tier sei, und aber es sich befinde, dieweil es sie betrogen, indem es sich für einen Schneider ausgegeben und doch nicht sei, dass es ein Leute betrügendes und schädliches Tier sei, ja ein Mörder. So erkennen sie, dass es solle gerichtet und als ein Leutebetrüger und Mörder mit dem Wasser vom Leben zum Tode gefördert werden.
Solches Urteil zu vollstrecken, ward einem von ihnen der Auftrag gegeben. Derselbe nahm den Krebs auf ein Brett und trug ihn dem Wasser zu; die ganze Gemeinde begleitete ihn. Da ward der Krebs im Beisein und Zusehen sämtlicher Schildbürger ins Wasser versenket. Als aber der Krebs in das Wasser gekommen, zappelte er und kroch hinter sich. Solches ersahen die Schildbürger und etliche, welche zartfühlenden Herzens waren, huben an zu weinen und sprachen: „Ei sehet, das möge sich jeder zu Herzen nehmen und ein rechtschaffenes Leben führen. Sehet, wie tut der Tod so weh!“