Der gute und der schlechte Rechenmeister

Es war im Jahre 1478. Da saßen in einem Wirtshause in Frankfurt a. M. in der Schmiedestube viele Gäste vom Zufall zusammengewürfelt: Landsknechte, Landmetzger, Müller, Bäcker, Jäger mit ihren Hunden und zechten, spielten und langweilten sich, aber fortgehen wollten sie nicht; denn es war draußen sehr schlechtes Wetter und der Regen goss in Strömen herab.
Auf einmal schauten sie alle neugierig in die Höhe und durch die runden Fensterscheiben in den Hof, wo ein fremder Reiter einritt und sein Ross anband. Als er in die Wirtsstube trat, folgten ihm alle Augen spähend, gerade, als müsse er durchaus neue Nachrichten aus dem Reich draußen mitbringen und so ein Teil zur Unterhaltung der Gäste beitragen. Der Reiter aber ließ sich ganz still seinen Wein munden und sich richtig begaffen.
Aber damit war der Wirt, Wolf Steinmetz, nicht zufrieden, und um den Fremden zur Rede zu bringen und vielleicht Neuigkeiten aus ihm herauszuholen, fing er an, des Reiters schönes Pferd, das draußen im Hofe stand, zu loben und zu preisen.
Endlich ging der Reitersmann darauf ein und sagte: „Ja, ja, Herr Wirt, das ist ein wackerer Gaul, so sicher und treu, hat mich durch alle Länder getragen; darum tut‘s mir auch leid, dass ich ihn hier in Frankfurt lassen muss. Denn ich werde in Zukunft auf dem Rhein Handel treiben. Habe mir schon ein Schiff gekauft und kann das Pferd nun nicht mehr gebrauchen. Euch gefällt das Tier so sehr, wollt Ihrs mir vielleicht abkaufen?“ Der Wirt sagte: „Zwar habe ich schon vier Pferde im Stall; doch könnte ich wohl noch das fünfte brauchen. Und Ihr lasst es ja gewiss zu mäßigem Preis.“
„Spottbillig sollt Ihrs haben, Herr Wirt! Ich will gar kein Geld dafür. Ich fange einen Erbsenhandel an. Ihr habt gewiss einen tüchtigen Erbsenvorrat. Wollt Ihr mir Erbsen für das Pferd geben?“
„Erbsen? Wie sonderbar! Erbsen ums Pferd?“ Und auch den Gästen fiel die wunderliche Forderung auf; sie drängten sich heran und lauschten den Handel. „Ist das nicht ein billiges Verlangen?“, sagte der Reiter. „Wohl! Aber wie viel Erbsen wollt Ihr denn?“
Seht, wir machen es so: Der Hengst hat vier Beine, nicht wahr? An jedem Bein ist ein Fuß, an jedem Fuß ein Huf, an jedem Huf ein Hufeisen. Das ist Euch doch alles klar. An jedem Hufeisen hat nun mein Pferd acht Nägel - und viermal acht ist zweiunddreißig. Das ist auch richtig gerechnet. Und diese zweiunddreißig Nägel, die kauft Ihr mir ab für Erbsen; das Pferd bekommt Ihr dann. Gebt mir für den ersten Nagel eine Erbse, für den zweiten zwei, für den dritten vier, für den vierten acht, für den fünften sechzehn, für den sechsten zweiunddreißig Erbsen und so fort. Für jeden folgenden Nagel immer die doppelte Anzahl Erbsen vom Vorhergehenden, bis zum zweiunddreißigsten Nagel. Was wird das viel machen! Die Erbsen sind ja heuer gut geraten. Ist Euch der Handel recht, so schlagt ein! Es tut mir zwar leid, mich von meinem treuen Pferde trennen zu müssen, aber bei Euch ist‘s gewiss gut aufgehoben.“
Einer der Gäste sagte: „Das ist eine närrische Sache. Was ist eine Erbse? Gar nichts! Was da vier Nägel kosten, frisst eine Taube zum Imbiss. Wohl, Steinmetz, wenn Ihr den Gaul nicht wollt, so nehme ich ihn. Das Rösslein gefällt mir und der Handel auch.“ Der Wirt wollte dem sonderbaren Handel noch nicht trauen und dachte: „Der Kerl ist toll. Ein paar hundert Erbsen um ein Pferd!“ Als aber der Reitersmann von Neuem mit ernstlicher Meine die Hand ausstreckte, schlug er, obwohl noch immer kopfschüttelnd, ein und sprach schmunzelnd, nun seines Handels ja recht sicher zu sein: „Nun denn, wenn Ihrs durchaus wollt, meinetwegen! Aber nachherige Reue gilt nichts. Die Gäste sind hier Zeugen.“
Diese stimmten bereitwillig zu und meinten, zu dem guten Handel gehöre auch ein guter Freitrunk. „Darauf soll's mir auch nicht ankommen!“, sprach der erfreute Wirt, „Hans, Brigg vom Besten!“
Die Humpen wurden gefüllt und geleert und auf des Wirtes Wohl ward mancher Schluck mehr geschlürft als von dem billigen Wein. Der fremde Reitersmann verhielt sich ganz ruhig und schien nicht zu merken, wie er heimlich verlacht ward wegen seiner törichten Erbsenforderung.
Aber endlich musste gerechnet werden, obgleich es dem Wirt auch einige Hunderte Erbsen mehr oder weniger gar nicht angekommen wäre. Der Fremde sagte: „Nur der Ordnung wegen.“ „Sei‘s denn, rechnet; hier ist Kreide! Lasst sehen, was Euer Gäulchen wert ist!“

Der Reitersmann schrieb mit der Kreide auf den Tisch: 1 - 2 - 4 - 8 - 16 - 32 - 64 -.
Wolf Steinmetz lachte, rechnete aber doch so fast aus Scherz und Langeweile genau die jedesmalige Verdoppelung nach.
Der Reitersmann schrieb weiter: 128 - 256 - 512 - 1024 - 2048 - 4096 - 8192 - 16384 - 32768 -.
Mir jeder Zahl ward dem Wirt jedoch schwüler zumute, und endlich ward er leichenblass und mochte die Ungetüme von Ziffern gar nicht mehr sehen. Und doch waren Sie erst an der Hälfte angelangt!
Der Wandersmann aber rechnete ruhig weiter; die Ziffern vergrößerten sich ungeheuer. Endlich, beim zweiunddreißigsten Nagel, war es eine Ziffer geworden, wozu die Länge des Tisches nicht mehr ausreichte und die weder der Wirt noch seine Gäste aussprechen konnten.
Mit Schauder und Grausen betrachtete der Wirt diese so furchtbar schnell gewachsene Zahl und war seiner Sinne nicht mehr mächtig.
Der Fremde aber sprach ruhig lächelnd: „Kann ich auch Säcke genug bei Euch zu kaufen bekommen für meine Erbsen? Zehn oder zwölf Pferde mit einigen Waren werden‘s wohl tun, mir die Erbsen zu fahren.“
Da ermannte sich der Wirt und sprach wild: „Der Handel gilt nicht! Schelmenstreiche sind es!“ Der Reiter sagte: „Eure Gäste sind Zeugen!“ „Zwölf Gulden“, sprach der Wirt, „mag Euer Pferd wert sein, mehr nicht. Ich will Euch das Doppelte geben, vierundzwanzig.“ „Nein, nicht so!“, entgegnete der andere, „Erbsen will ich, Erbsen! So war die Abrede. Nach meiner Rechnung macht‘s 5000 Achtel in runder Zahl und die verlange ich.“ „Verlangt nur! Kriegen aber sollt Ihrs nicht!“ „So verklage ich Euch beim Gericht. Wir haben Zeugen.“
Und da der Wirt kein anderes Gebot mehr tat, verklagte ihn der Reiter wirklich. Da ward ein gütlicher Vergleich abgeschlossen, wonach Wolf Steinmetz, der Wirt zur Schmiedstube, dem Verkäufer des Pferdes achtzig Gulden zahlen musste und außerdem noch zwanzig Gulden Unkosten.
Er verschwor sich aber heilig und teuer, weder Pferde-, noch Erbsenhandel künftig mehr zu treiben. Der Reitersmann aber strich gemütlich seine achtzig Gulden, eine große Summe für die damalige Zeit, ein und bewirtete des Abends die Zeugen noch aufs Köstlichste, aber nicht in der Schmiedstube, sondern in einem anderen Wirtshause.